In Dresden droht wichtigen Projekten für junge Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrung das Aus – oder zumindest eine drastische Einschränkung. Während viele etablierte Angebote großer Träger weitgehend verschont bleiben, trifft der Rotstift ausgerechnet dort, wo Teilhabe besonders dringend gebraucht wird.
Wer bekommt weniger – und warum?
Die Stadt Dresden hat in ihrer aktuellen Jugendhilfeplanung die Förderung zahlreicher Projekte überprüft. Dabei fällt ein deutliches Muster auf: Angebote für junge Menschen mit Migrationshintergrund werden überdurchschnittlich stark gekürzt.
Einige Beispiele aus dem Haushaltsentwurf:
- „Mein Viertel – Mein Kiez“, ein Projekt für besonders benachteiligte Jugendliche mit Migrationsgeschichte, wird komplett gestrichen. Begründung: „infrastrukturell am ehesten kompensierbar“.
- „Come together“, ein integratives Angebot für Familien mit Fluchterfahrung, verliert ein Drittel seiner Stellen.
- „MOBA“, ein mobiles Spielplatzprojekt für Kinder aus benachteiligten Quartieren, wird um ein Drittel gekürzt.
- Das Projekt „Arbeit mit Eltern im Migrationskontext“ verliert sogar die Hälfte seiner personellen Ressourcen.
Diese Projekte werden vom Ausländerrat Dresden e. V. getragen – einem Verein, der seit Jahren in der Stadt verlässlich Integrationsarbeit leistet.
Und andere?
Ganz anders sieht es bei vielen Angeboten großer Träger wie der Diakonie aus:
Ob offene Kinder- und Jugendarbeit oder mobile Sozialarbeit – die meisten dieser Projekte bleiben unangetastet oder müssen nur minimale Kürzungen verkraften. Oft steht in der Begründung: „Analog zu 2024 gefördert“, „arbeitsfähig“ oder einfach gar keine Kürzungsmaßnahme.
So wird z. B.:
- die Mobile Jugendarbeit Dresden-Pieschen nur um 0,25 Vollzeitstellen gekürzt
- das Jugendhaus P.E.P. vollständig erhalten
- selbst Projekte in sozialen Brennpunkten wie Prohlis oder Gorbitz bleiben weitgehend stabil
Mehr Beispiele
🔴 Beispiel 1: Arbeitsweltbezogene Jugendsozialarbeit
❌ Projekt: „Mein Viertel – Mein Kiez“ (Ausländerrat Dresden e.V.)
- Zielgruppe: besonders benachteiligte Jugendliche mit Migrations- oder Fluchterfahrung, Systemsprenger, Care Leaver
- Beantragt: 1,5 VzÄ → Verwaltungsvorschlag: 0 (komplette Streichung)
- Begründung: „infrastrukturell am ehesten kompensierbar“
- Trotz klar benannten Bedarfs (z. B. Schulabsentismus, Wohnungslosigkeit)
✅ Vergleich: Mobile Jugendarbeit Dresden-Neustadt (Diakonie)
- Zielgruppe: allgemeine, diverse Peergroups in Stadtraum 3
- Förderung: bleibt bei 2 VzÄ
- Begründung: „analog zu 2024 gefördert“, keine Kürzung trotz Haushaltslage
🔴 Beispiel 2: Mobile Jugendarbeit / Streetwork
❌ MOBA – Mobiles Angebot (Ausländerrat Dresden e.V.)
- Zielgruppe: Kinder und Jugendliche mit Migrations- und Fluchterfahrung in benachteiligten Quartieren
- Beantragt: 3 VzÄ → Verwaltungsvorschlag: 2 VzÄ
- Kürzung um 1 VzÄ trotz hoher Bedarfslage in Stadtraum 12
✅ Vergleich: Mobile Jugendarbeit Dresden-Pieschen (Diakonie)
- Zielgruppe: Jugendliche in SR 4 und 5
- Beantragt: 2,26 VzÄ → Verwaltungsvorschlag: 2 VzÄ
- Nur 0,25 VzÄ gekürzt, mit Vermerk: „arbeitsfähig“
🔴 Beispiel 3: Familienarbeit / Elternarbeit
❌ „Arbeit mit Eltern und Familien im Migrationskontext“ (Ausländerrat Dresden e.V.)
- Zielgruppe: Eltern und Kinder mit Migrationshintergrund
- Beantragt: 3 VzÄ → Verwaltungsvorschlag: 1,5 VzÄ
- Kürzung um 50 %, obwohl hohe Nachfrage belegt ist
✅ Vergleich: Mobile Arbeit mit Kindern und Familien (Diakonie)
- Zielgruppe: Allgemeine Elternarbeit in Pieschen & Umgebung
- Beantragt: 2,25 VzÄ → Verwaltungsvorschlag: 2 VzÄ
- Nur 0,25 VzÄ gekürzt, arbeitsfähig
🔴 Beispiel 4: Freizeitpädagogik / offene Arbeit
❌ „Come Together“ (Ausländerrat Dresden e.V.)
- Zielgruppe: Kinder, Jugendliche und Familien mit Flucht-/Migrationsgeschichte
- Beantragt: 3 VzÄ → Verwaltungsvorschlag: 2 VzÄ
- Kürzung um 1 VzÄ, obwohl als stadtweit relevant anerkannt
✅ Vergleich: Jugendhaus P.E.P. (Diakonie)
Keine Kürzung
Zielgruppe: Jugendliche in sozialem Brennpunkt (aber ohne expliziten Migrationsfokus)
Beantragt: 2 VzÄ → Verwaltungsvorschlag: 2 VzÄ
Eine stille Verschiebung von Prioritäten?
Die Stadtverwaltung betont, dass die Entscheidungen auf Haushaltszwänge zurückzuführen seien. Aber die ungleiche Verteilung der Kürzungen wirft Fragen auf:
- Warum trifft es ausgerechnet Projekte, die Integration und Teilhabe fördern?
- Warum wird ausgerechnet bei jenen gestrichen, die ohnehin schon weniger Zugang zu institutioneller Unterstützung haben?
- Ist es strukturelle Diskriminierung, auch wenn niemand es offen ausspricht?
Was bleibt, ist der Eindruck, dass die Teilhabe von Migrant:innen nicht mehr zu den Prioritäten der städtischen Jugendhilfe gehört.
Was bedeutet das für die Betroffenen?
Viele dieser Projekte sind niedrigschwellig, mehrsprachig und vertrauensvoll in den Sozialräumen verankert. Sie bauen Brücken zwischen Behörden und Familien, unterstützen Jugendliche beim Schulbesuch, helfen bei der Berufsorientierung und schaffen geschützte Räume für Austausch, Bildung und Freizeit.
Wenn diese Strukturen wegbrechen, verlieren viele Kinder und Familien nicht nur konkrete Angebote – sondern auch Vertrauen in eine Stadt, die vorgibt, für alle da zu sein.
Was können wir tun?
- Öffentlich machen: Redet darüber. Teilt Beiträge wie diesen.
- Politisch nachfragen: Warum wird wie entschieden? Und wer entscheidet das?
- Solidarisch zeigen: Unterstützt die Träger, deren Arbeit jetzt gefährdet ist – z. B. durch Spenden oder ehrenamtliches Engagement.
- Druck machen: Bei Jugendhilfeausschuss, Stadtrat und Verwaltung klar machen, dass soziale Gerechtigkeit kein Luxus ist.
Wenn Haushaltskürzungen in einer Stadt wie Dresden systematisch die Schwächsten treffen, ist das mehr als ein technisches Problem – es ist ein politisches und moralisches. Wir müssen hinschauen, wo gekürzt wird – und wem das wirklich schadet.
Wer mehr erfahren will oder selbst Fragen hat, kann sich direkt informieren – öffentlich und vor Ort:
📍 5. Sitzung des Integrations- und Ausländerbeirats
🕕 21. Mai 2025, 18:00 Uhr
🏛 Neues Rathaus, Beratungsraum 2, 2. Etage, Raum 13
📫 Dr.-Külz-Ring 19, 01067 Dresden
Dort wird unter anderem auch die Stadtverwaltung vertreten sein – eine gute Gelegenheit, nachzufragen, Position zu beziehen und Solidarität mit den betroffenen Projekten zu zeigen. Öffentlich heißt: Du darfst kommen. Und du darfst zuhören.