Aufzeichnungen eines Übersetzers. Eine Schule in Charkiw

Anfang März, Dresden Hauptbahnhof, ca. 21 Uhr. Einer meiner ersten Einsätze als ehrenamtlicher Dolmetscher. Wir helfen einer Familie, die aus Charkiw geflohen ist und sich auf den Weg nach Schweden macht, wo ihre Bekannten bereits auf sie warten. In Dresden versuchen wir, für sie eine Unterkunft für eine Nacht zu finden, aber das braucht alles Zeit…

Charkiw ist eine russischsprachige Stadt, und ich muss mir keine Sorgen machen, dass ich mit den Menschen von dort nicht Ukrainisch sprechen kann. Ich komme mit einer der Frauen ins Gespräch. Sie erzählt mir, dass Charkiw die schönste Stadt der Ukraine sei und dass der Bürgermeister in den letzten Jahren viel für Menschen getan habe. Ihre Mutter starb kurz vor Kriegsbeginn, und sie hatten keine Zeit, ihre Asche zu begraben. Sie hat lange gezögert, ob sie wirklich wegfahren soll oder nicht. Es bestand die Hoffnung, dass es nicht so schlimm sein könnte, aber nach einem weiteren Raketenangriff schnappte sie sich ihre vorbereiteten Koffer und machte sich aus dem Staub. Jetzt sagt sie, sie sei wie in einem Traum…

Das Gespräch kommt plötzlich auf mich zu. Eines der Kinder, ein Junge von etwa 12 Jahren, fragt mich:

„Kommen Sie auch aus der Ukraine? Aus welcher Stadt?“.

„Nein, ich komme aus Russland, aus Moskau…“

Der Junge verschränkt die Arme vor der Brust, dreht sich halb zur Seite, als ob er sich auf eine lange Diskussion vorbereiten wollte, und fragt, während er an mir vorbei nach oben schaut.

„Bitte erklären Sie mir, warum Ihre Soldaten unsere Schule zerstört haben?“

Er zeigt überhaupt keine Aggression. Es sieht so aus, als ob er tatsächlich erwartet, dass ich ihm eine Liste von Argumenten vorlege, warum „meine“ Soldaten unbedingt seine Schule zerstören sollten.

„Es tut mir sehr leid, dass sie das getan haben. Es sind sehr dumme Menschen, und ich schäme mich für sie. Wir werden sie dazu bringen, dir eine neue Schule zu bauen, die noch besser sein wird als die alte.“

Ich merke, er hat nicht mit fehlendem Widerstand gerechnet. Er denkt kurz nach, und dann meldet sich seine Zwillingsschwester zu Wort: „Übrigens, was ist mit der Schule?“. „Ihr werdet vorerst in Schweden zur Schule gehen. Und dann werden wir sehen, wie lange es noch dauert…“, antwortet die Mutter. „Eine echte schwedische Schule besuchen?!“, fragt das Mädchen mit Erstaunen und Freude…

Das Thema geht in eine andere Richtung und ich atme aus…

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