Als man in der Firma, wo ich gerade arbeite, wieder vom Büro aus arbeiten durfte, wurde mir klar, dass in meinem Herzen zwei verschiedene Mitarbeiter leben — Büro- und Remote-Mitarbeiter. Sie verfügen über ein unterschiedliches Leistungsvermögen. Im Büro bin ich konzentriert und voller Energie, ich bin ständig in Bewegung: Laufe von einem Teil des Open-Spaces zum anderen, zu den Aufzügen, in den Fluren, in die Küche…
Zu Hause gibt es auch eine Küche, doch alles andere ist weg. Man sitzt den ganzen Tag auf einem Stuhl und starrt auf den Monitor. Das Büro-Ich eilt von einem Besprechungsraum zum nächsten, während die Heimversion in Zoom auf einen Link tippt und mit der freien Hand eine Katze streichelt, die sich daneben ausstreckt.
Nur im Homeoffice fiel mir auf, wie unheimlich die Einrichtung bei mir in der Wohnung ist. Mein Arbeitszimmer ist ein ehemaliges Kinderzimmer mit gelblicher Tapete und völlig ohne Tageslicht. In diesem Zimmer ist das Licht immer an, und gibt es nie Sonne. Ich sitze hier, als ob ich in einem U-Boot wäre. Ich bin mir sicher, dass der Mangel an Bewegung, Tageslicht und die ständige Anspannung wegen der Arbeit doch einen kumulativen Effekt haben.
Jeder Gang zum Wasserspender im Büro bleibt als Abenteuer in Erinnerung
Ich bin daran gewöhnt, in meiner Arbeitszeit ein gewisses Pensum zu erledigen. Ich kenne ungefähr meine Kapazität, aber zu Hause lenkt mich alles ab: die Kinder, Xbox, Fernseher, Internet, ein dringender Anruf, eine neue Nachricht in Telegram, meine Frau, die mich in den Supermarkt schickt… Und nach einer Weile verstehst du, dass du normalerweise verdammt noch mal mehr geschafft hast. Und du fängst an, das mit Überstunden auszugleichen. Für mich ist es eine Art von Strafzettel, den ich mir selbst schreibe, eine Strafe dafür, dass das Zuhause-Ich schlechter im Zeitmanagement ist.
Alle sagen, dass der erste Schritt im Umgang mit einem drohenden Burnout darin besteht, aufzuhören, sich selbst zu bestrafen. Ich kann aber nicht. Zu Hause deutet alles darauf hin, dass ich mich nicht umsonst rüge und mit Überstunden bestrafe. Es ist einfach eine Illusion für eine andere Person zu schaffen, man selbst kann sich aber nicht täuschen. Tatsache ist, dass du nicht “über die Aufgabe nachgedacht” und auch nicht “in den Kontext eingestiegen” bist, nein, du warst einfach wieder abgelenkt und hast es nicht geschafft zurück in den Flow zu kommen. Und du wirst nie mit dir zufrieden sein, wenn es nicht durch tatsächliche Aktivität gesichert ist.
Anstatt von sich selbst wegzulaufen, sollte man an sich selbst arbeiten. Aber das ist sehr schwierig…
…und noch komplizierter ist es sich zu motivieren. Ich mache erste vorsichtige Versuche — involviere HR, erkläre, dass das Team (und ich) Hilfe braucht. Viele Leute sehen das als ein Luxus-Problem. Also, unser Geschäft ist gerade am Sterben und du redest hier über Emotionen und Sorgen. Eure Probleme sind nicht echt, zu hochintellektuell. Tja, ich weiß nicht, kann wohl sein, aber was ich genau weiß ist, dass man präventiv sein soll. Weg mit diesem falschen “Work in home ist cool”, das über dem Bild eines Mannes steht, der am Strand arbeitet.
Nein, das ist doch eine Illusion.
Es gab aber Zeiten, als mir das Homeoffice wie ein Paradies erschien: du stehst morgens auf, schreibst einen Code, gehst dann spazieren und schreibst wieder am Code. In Wirklichkeit ist Homeoffice eine Arbeit ohne Anfang und Ende. Wenn der Laptop offen ist, arbeitest du, wenn nicht, dann scheinbar nicht. Dies sind eindeutig nicht die gleichen Zeitintervalle wie im Büro. Es ist nicht so, dass du vom Schreibtisch aufstehst und irgendwohin gehst. Im Homeoffice stehts du vom Tisch auf, setzt dich auf das Sofa und was dann? Sich entspannen?
Es ist bei vielen auch so. Ich manage Menschen und muss auch wissen, wie sich meine Mitarbeiter fühlen. Es ist schwieriger geworden die Teams zu beobachten. Es gibt Performance-Tracking-Tools, die für alle Entwickler mehr oder weniger unangenehm sind. Es gibt unterschiedliche Agile-Reports, wo das Wort “Agile” eingefügt wird, nur um zu betonen: nein, nein Leute, das ist keine Bürokratie… Und das sind im Grunde genommen die Leistungskennzahlen des Teams.
Normalerweise kommt der Teamleader und fragt: “Wie kann ich dir helfen?” Die Homeoffice-Nervosität macht Leute paranoid und sie hören nur: “Warum arbeitest du so langsam?” Die Jungs haben das starke Gefühl, dass sie jetzt die Hälfte ihrer Zeit damit verbringen, im Zoom zu hängen und weniger Codes schreiben.
Aber ich versuche wirklich zu helfen. Es gab bisher keine dramatische Leistungseinbrüche, aber eines kann ich euch sagen:
Die Menschen leiden jetzt mehr, und auch die Produktivität wird betroffen sein. Es ist nur eine Frage der Zeit
Wenn man die Zeit ein wenig zurückdreht, sieht man viele Firmen, die sich gegen Homeoffice sträuben. Natürlich hängt das direkt von der Unternehmenskultur ab. Es gibt einige Old-School-Firmen, in denen alles auf den Werten einer Geschäftsführung aufgebaut ist. Ein Freund von mir arbeitet für eine solche Firma, und bei ihnen herrschen die Regeln der 90er Jahre. Selbst auf dem Höhepunkt der Pandemie sprach sich das Management gegen Fernarbeit aus: “Wenn ihr Faulpelze zu Hause bleiben würdet, dann vergesst ihr eure Arbeit gleich in fünf Minuten!”
Die Vorstellung über Entwickler als sorglose, glückliche Menschen, die im Geld und Benefits schwimmen, ist weit von der Realität entfernt. Verdammt noch mal, dies ist einer der wenigen Berufe, bei denen man auch nach dem Arbeitstag noch an die Aufgabe denkt. Man steigt in die U-Bahn und arbeitet los. Ich habe mich mehrmals bei dem Gedanken ertappt: “Mann… ich fahre doch nach Hause! Warum frage ich mich immer noch, wo der Bug ist? Wahrscheinlich hier… Okay, ich recherchiere morgen noch weiter…”. Und so ist eine halbe Stunde vorbei — und was war das dann? War es der Heimweg oder doch Arbeitszeit?
Aber die Umgebung, die Straße, der Weg, die Passanten – alles drumherum versucht, den Kopf in die Realität zurückzuholen. Und du schaltest ungewollt um. Zu Hause ist die Arbeit immer da, und man hat immer das Gefühl, dass man ihr nicht genug Aufmerksamkeit schenkt.
Viele denken: keine Sorge, bald ist das Homeoffice vorbei und wir sind wieder im Büro. Ich bin mir nicht so sicher.
Es gibt Twitter, welches vor allen anderen Homeoffice legalisierte, und auch viele andere westliche Unternehmen haben langfristige Entscheidungen getroffen, im Sinne von: “Hey Leute, wer nicht ins Büro kommen will, kommt einfach nicht”. Wenn wir uns mal das als einen Farbverlauf vorstellen, dann sehen wir auf der rechten Seite das Vollzeit-Homeoffice und auf der linken Seite das gute alte Büro. Dazwischen liegen Kompromisse. Einen scharfen Übergang wird es mit Sicherheit nicht geben. Ich habe das Gefühl, dass die IT-Branche sich nach rechts bewegen wird. Und gleichzeitig gilt, wenn es Gründe gibt, die es nicht ermöglichen, von zu Hause aus zu arbeiten, dann bitte — es gibt einen Platz im Büro. Bei uns arbeiten gerade 20% der Mitarbeiter im Büro.
In meinem Team gibt es eine Menge solcher Leute. Sie kommen ins Büro aus unterschiedlichen Gründen: bei manchen laufen permanent(e) Renovierungsarbeiten, manche haben wenig Platz und viele Kinder. Manchmal ist es nur ein emotionaler Impuls: „Leute, zu Hause zu sitzen – das ist überhaupt nicht meins! Ich will ins Büro“. Aber im Moment, zumindest für Ende 2020, ist das immer noch ein Risiko. Wir haben einfach einen Kompromiss gefunden, wo man das Risiko noch akzeptieren kann.
Ob ein Büro oder eine Wohnung — es ist nicht einfach eine Dekoration, es ist deutlich komplizierter. Es geht darum, wie wir mit der Idee umgehen, unser Leben und unsere Arbeit zu kontrollieren. Es ist ein Teufelskreis aus „Überarbeitung, vergessen sich auszuruhen, faul sein, sich die Schuld geben und durch Überarbeitung sich selbst bestrafen“. Das Büro und die Wohnung waren Hilfsmittel, um es aufzuschlüsseln, um herauszufinden, wo was ist. Da war Ordnung drin, und jetzt ist alles durcheinander.
Ich glaube, das globale Homeoffice wird eine neue Kultur hervorbringen, alles wird sich beruhigen. Aber das wird dauern und kompliziert sein.