Wie Pjotr Kleptzow den Krieg und Gefangenschaft überlebte. Teil 3.

Personalkarte von Pjotr Kleptzow

Nach der Gefangennahme kam Pjotr im September 1942 ins Stalag 339 nach Darniza (neben Kiew). In der Personalkarte stehen seine Daten und ebenso, dass er verwundet ins Lager gebracht wurde. Nach etwa einem Monat wurde er zur Zwangsarbeit in einer Zuckerfabrik von Emmerthal AG in Niedersachsen eingesetzt.

  • Personalkarte von Pjotr Kleptzow

Die Zuckerproduktion war im Dritten Reich von großer Bedeutung. In Kriegszeiten erlaubte Zucker als hochkalorisches Lebensmittel, bei Mangel an anderen Produkten den Hunger zu vermeiden. Der Zuckermarkt wurde durch eine Preisgarantie geregelt, und die Fabriken zogen ein großes Nutzen aus der Zwangsarbeit von deportierten Zivilisten aus Osteuropa sowie von polnischen, französischen und sowjetischen Kriegsgefangenen.

Die polnische Ostarbeiterin Bronisława Haluch, die im Oktober 1942 ebenfalls zur Zuckerfabrik Obernjesa (75 km von Emmerthal entfernt) gebracht wurde, beschrieb die Arbeitsbedingungen dort wie folgt:

Wir mussten die Rübenblätter festhalten, während wir die Rüben ausgruben. Jedes Mal, wenn ich die Blätter anfasste, waren sie gefroren, jedes Mal, wenn ich sie anfasste, weinte ich. Es war so kalt und ich war barfuß. Ich sagte, oh Gott, was machen sie mit uns!

Bronisława Haluch
Zuckerfabrik Obernjesa, Quelle: zwangsarbeit-in-niedersachsen.eu

Die schlimmsten Arbeitsplätze, so Bronisława, erhielten die sowjetischen Kriegsgefangenen. Einer von ihnen musste einen Gummiumhang tragen, da ihm bei seiner Arbeit unaufhörlich schleimiger und übel riechender Sirup von oben über den Körper tropfte. Dabei sang er die schönsten russischen Lieder. Es war ein schrecklicher Ort, ich glaube, sie hätten keinem anderen als einem russischen Kriegsgefangenen diese Arbeit gegeben.

Quelle: http://zwangsarbeit-in-niedersachsen.eu/de/virtuelle-ausstellung/auf-dem-land/zuckerindustrie.html

Laut den Erzählungen von Pjotr war das Leben in der Gefangenschaft hart, aber erträglich. Als er für deutsche Bauern arbeitete, unterstützten sie ihn mit Lebensmitteln. Aber noch wichtiger war, dass sein Herz durch die Hoffnung erwärmt wurde, aus der Gefangenschaft nach Hause zurückzukehren. Doch direkt nach seiner Befreiung im Jahr 1945 erwartete ihn erst die eigentliche Hölle…

In der Sowjetunion wurde Gefangenschaft als Verrat angesehen. Diejenigen, die sich freiwillig aufgegeben haben, sollten erschossen werden und auch deren Familien mussten verhaftet werden. Zum Glück galt Pjotr Kleptzow jedoch als vermisst. Nach seiner “Befreiung” wurde er sofort in ein sowjetisches Filtrationslager gesendet. Das Einzige, was er darüber sagte, war, dass er dort so hart geschlagen und gefoltert wurde, wie es nicht einmal zu Zeiten deutscher Gefangenschaft vorstellbar gewesen wäre.

Es gab so gut wie keine Hoffnung mehr. Viele Menschen wurden zu jahrelanger Zwangsarbeit in sowjetischen Konzentrationslagern verurteilt. Nur im Jahr 1946 konnte er einen kurzen Brief nach Hause schicken, in dem er nur berichten konnte, dass er lebt und sich in der Sowjetunion befindet. Seine Frau glaubte nicht, dass der Brief von ihm war. Es gab damals Gerüchte, dass die sowjetischen Behörden solche Briefe verfassten, um Angehörige zu beruhigen.

Doch nach mehr als einem Jahr der Folter wurde er freigelassen. Seine Familie war unendlich glücklich, aber viele im Dorf hielten ihn noch immer für einen Verräter. Er wurde nicht als Lehrer an der Schule angenommen, und sein Zaun wurde mit Beleidigungen beschmiert. 

In den 70er Jahren erhielt er eines Tages einen Brief vom Einberufungsamt der Armee. Es war eine Tragödie für die ganze Familie. Sie dachten, man würde ihn zurückholen und  wieder verhaften. Nach einer schlaflosen Nacht nahm Petr Kleptzow am darauffolgenden Tag den Amtstermin wahr. Schließlich stellte sich jedoch heraus, dass sie ihm nur eine Jubiläumsmedaille als Kriegsveteran verleihen wollten. 

Diese Angst vor einem sowjetischen Konzentrationslager lebte in ihm auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion bis hin zu seinem Tod im Jahr 2001 weiter…

Zusammenfassung

Für mich geht es bei dieser Geschichte nicht darum klarzustellen, ob die Bedingungen in deutschen oder sowjetischen Konzentrationslagern unerträglicher waren. Für mich ist das eher eine anschauliche Darstellung der Tatsache, dass wir Russen in diesem Krieg keine politische Souveränität hatten. 

Weder die Generation dieses Krieges noch ihre Vorfahren haben in demokratischen Wahlen Kommunisten gewählt. Die Russen wurden, wie viele andere Völker auch, vor dem Krieg durch Fanatikern gewaltsam versklavt. Im Zweiten Weltkrieg versuchten die Nazis, den Kommunisten das Recht abzuringen, die Russen selbst zu versklaven. Sie scheiterten, und am Ende waren die Russen fast ein halbes Jahrhundert lang in der Hand der Kommunisten.

Ich finde es sehr erschreckend, dass im heutigen Russland die Erinnerung an den Krieg in der Parole „Wir können es wiederholen“, dem Ausstellen von kommunistischen Symbolen und dem Verkleiden von Kindern in Militäruniformen zum Ausdruck gebracht wird. Für mich ist das ein Zeichen, dass wir, die Russen, immer noch in mentaler Sklaverei verharren, die sich langsam wieder in reale verwandelt.

Editiert von Maximilian Wieg